Rhetorik und Ethik –
Ist besseres Argumentieren in der Gentechnikdebatte möglich?
In hitzigen Debatten werden oftmals – ob gewollt oder ungewollt – Argumentationsfehler begangen. Und zwar auf beiden Seiten. Dies gilt nicht nur für unmittelbare Streitgespräche wie Gruppendiskussionen oder Podiumsdebatten; die Diagnose stimmt auch mit Blick auf schriftlich fixierte Auseinandersetzungen, wie sie gegenwärtig vor allem webbasiert in Foren, Blogs und Social Media stattfinden. Anschaulich wird dies an einer Kontroverse, die in Deutschland seit Jahrzehnten mit großer Emotionalität geführt wird: die Debatte um die so genannte „Grüne Gentechnik“.
Mag. Christian Dürnberger: „Der Versuch, andere zu überzeugen, braucht nachvollziehbare Argumente und verständliche Darlegung.“
Foto: Institut TTN
„Daher ist es erforderlich, Kunstfertigkeit anzuwenden, ohne dass man es merkt, und die Rede nicht als verfertigt, sondern als natürlich erscheinen zu lassen – dies nämlich macht sie glaubwürdig.“
Für Aristoteles (384–322 v. Chr.) ist Rhetorik eine Kunstfertigkeit.
Insofern sich in der Ideengeschichte bestimmte Argumentationsfiguren als heikel bzw. unzulässig erwiesen haben, liegt es nahe, spezifische Argumente, wie sie in der Gentechnikdebatte immer wieder vorkommen, zusammenzutragen und sie kritisch zu prüfen. Ein derartiges Vorgehen kann im Idealfall zur Qualität der Diskussionskultur beitragen und dadurch die Chancen auf eine konstruktive Entwicklung der Debatte erhöhen – unabhängig davon, ob man nun mit seiner Position pro oder contra oder „dazwischen“ liegt.
Literaturempfehlungen zu Beginn
Als zentrale Ausgangspunkte und Möglichkeiten der vertiefenden Lektüre sei zu Beginn auf zwei Quellen verwiesen: Barbara Bleisch und Markus Huppenbauer widmen in ihrem Buch „Ethische Entscheidungsfindung. Ein Handbuch für die Praxis“ (Zürich, 2011) fehlerhaften Argumentationsfiguren in moralisch relevanten Debatten ein lesenswertes Kapitel. Im Web kann der ratioblog.de als zentrale Anlaufstelle und Sammelpunkt von rhetorischen Figuren genannt werden.
Über die Rhetorik in ethischen Debatten
Rhetorik und Ethik – das klingt nach einem evidenten Zusammenhang wie auch nach einem Widerspruch. Evident ist der Zusammenhang insofern, als ethische Auseinandersetzungen notwendigerweise auf Wort und Argument zurückgreifen, um in einer moralischen Streitfrage zu überzeugen. Ethik braucht die Rhetorik; und zwar nicht nur aus praktischen, sondern auch aus theoretischen Gründen, die sichtbar machen, dass eine perspektivenlose Ethik „im luftleeren Raum“ kein uns zugänglicher Standpunkt ist.
Zugleich sperrt sich die Gegenüberstellung dieser Begriffe: Der Ethik geht es um das „Richtige“, das „Unbedingte“; Rhetorik hingegen erinnert viele an „Manipulation“ und „sprachliche Tricks“. Ein rhetorisch Begabter kann in eleganter Wortwahl und mit starken Metaphern jenen in Grund und Boden reden, der aus moralphilosophischer Sicht vielleicht im Recht wäre.
Dieses Spannungsverhältnis schlägt sich in der Philosophiegeschichte wirkmächtig nieder: Schon der griechische Philosoph Aristoteles (384–322 v. Chr.) geht der Frage nach, ob im Streitgespräch jedes Mittel recht ist, um seine Position durchzusetzen. Der deutsche Philosoph Immanuel Kant (1724–1804) sieht die Rednerkunst denn als „gar keiner Achtung würdig“ an, da sie die Schwächen der Zuhörerschaft ausnütze.
Nicht überreden, sondern überzeugen!
Wer gegenwärtig „Rhetorik“ nicht als Schmähbegriff verwendet, der steht in der Regel in loser Tradition von Aristoteles. Dieser unterscheidet zwischen „Überredung“ und „Überzeugung“: Wer bloß überredet, der setzt alle Mittel ein und zielt vor allem auf die Emotionen des Publikums ab. Wer hingegen wahrhaft überzeugt, der wendet zwar den einen oder anderen rhetorischen Kniff an, im Zentrum seiner Darlegung steht aber eine überzeugende Argumentation.
Was ist ein „gutes“ Argument?
Ein „gutes“ Argument zu bestimmen, ist schwierig. Wir meinen damit in der Regel mehr als nur eine Aussage über die formallogische Korrektheit eines Arguments. Diese ist gegeben, wenn von zwei Prämissen a und b korrekt auf die Konklusion C geschlossen wurde, sagt aber nichts über die Qualität der Prämissen aus. Ein gutes Argument sollte relevant für den Kontext sein und auf empirisch belastbaren Daten basieren. Mit Blick auf die Gentechnikdebatte sollte ein gutes Argument Studien auf seiner Seite haben, die der kritischen wissenschaftlichen Prüfung standhalten können. Darüber hinaus vermag ein gutes Argument im Idealfall auf – auch von der Gegenseite – geteilte Prämissen zurückzugreifen. Leichter – und auch amüsanter – ist es jedoch, fehlerhafte Argumentationstypen herauszuarbeiten.
Neun kritisch zu diskutierende Argumente in der Gentechnikdebatte
Die im Folgenden genannten Beispiele sind idealtypische Verdichtungen von Argumentationsweisen, wie sie in der Gentechnikdebatte in steter Regelmäßigkeit vorkommen; sie können entsprechend als exemplarisch verstanden werden. Die Exempel können dabei in einem adäquaten Kontext durchaus gewinnbringende Aspekte in die Diskussion einbringen, als alleinstehende Argumente sind sie jedoch kritisch zu diskutieren.
1. Argumentum ad hominem
Bei der Argumentationsfigur „ad hominem“, also „auf den Menschen gerichtet“, wird nicht der Standpunkt zum Thema, sondern die Person, die diesen Standpunkt vertritt.
Beispiel 1 (B1): „Dass der Genetiker John Hurley für Gentechnik ist, ist ja klar. Der hat das Interesse daran, Forschungsgelder zu bekommen. Seine Studienergebnisse sind daher irrelevant.“
Beispiel 2 (B2): „Die Organisation, die nun heftig gegen Gentechnik wettert, hat auch schon bei früheren Einschätzungen daneben gelegen. Außerdem verdienen die damit ihr Geld.“
In beiden Beispielen wird auf Akteure fokussiert, die Argumente vorbringen – nicht jedoch auf deren Argumente selbst. Das hierbei häufig zu vernehmende „Interessens-Argument“ ist insofern zu problematisieren, als in der Regel alle Beteiligten an einer Diskussion Interessen aufweisen und das Aufweisen von Interessen noch keinen ethischen Skandal per se bedeutet. Das Sichtbarmachen von impliziten Interessen kann einen Gewinn an höherer Transparenz bedeuten, die etwaige daran anknüpfende Kritik an Akteuren darf jedoch nicht mit Kritik an deren Argumentationen verwechselt werden.
2. Argumentum ad verecundiam
Das Gegenteil der erst genannten Argumentationsfigur, dabei jedoch ebenso fehlerhaft, ist das Argument „ad verecundiam“, also das Argument „aus Ehrfurcht“. Hier wird der eigene Standpunkt durch die Berufung auf eine Autorität bewiesen bzw. erhärtet.
B1: „Der Einsatz der Grünen Gentechnik ist ethisch geboten. Das hat der Philosoph und Agrarwissenschaftler Dennis Johnson klar gemacht.“
B2: „Grüne Gentechnik wird auch von der Kirche abgelehnt.“ (Anmerkung: Die Positionen der Kirchen in Deutschland zum Thema Gentechnik lassen sich nicht derart pauschalisieren.)
Es ist an zahllosen Stellen in Debatten ohne Zweifel sinnvoll und notwendig, sich auf die Argumente, Studien und Ergebnisse von Expertinnen und Experten zu berufen – der Hinweis auf eine Autorität allein ist jedoch keine Garantie für die Wahrheit einer Position und stellt damit auch nur bedingt ein triftiges Argument dar.
3. Sein-Sollen-Fehlschluss
Der Sein-Sollen-Fehlschluss gehört zu den meist diskutierten Argumentationsfiguren der Philosophiegeschichte (vgl. naturalistischer Fehlschluss). Im Folgenden soll eine sehr simple Form dieser rhetorischen Figur dargelegt werden, die im Wesentlichen besagt: Eine ethische Forderung, wie etwas sein soll, lässt sich nicht allein aus deskriptiven Beschreibungen gewinnen, wie etwas ist.
B1: „In allen Kulturen hat der Mensch radikal in die Natur eingegriffen. Die Gentechnik ist nur der logische nächste Schritt.“
B2: „Die Gentechnik stellt einen unnatürlichen Eingriff dar und ist daher abzulehnen.“
In beiden Beispielen wird aus einer Deskription eine unmittelbare Norm abgeleitet: Im ersten Fall dient die Historie, im zweiten Fall die Natur als Ausgangspunkt der Deskription. Kritische Gegenstatements hätten auf Folgendes hinzuweisen:
Ad B1: Nur weil etwas immer schon so gemacht wurde, ist daraus nicht abzuleiten, dass man es weiterhin machen soll.
Ad B2: Hier zeigt sich die oft zu diagnostizierende Gleichsetzung von „natürlich“ und „gut“. Nicht zuletzt der englische Philosoph und Ökonom John Stuart Mill (1806–1873) hat zu Recht darauf hingewiesen, dass „die Natur“ oder „das Natürliche“ in ihrer Widersprüchlichkeit nicht als moralisches Vorbild taugt: Vieles von dem, was in der Natur tagtäglich „natürlich“ passiert, gilt, wenn es ein Mensch macht, aus guten Gründen als schweres Verbrechen.
Darüber hinaus sei ergänzt: Die vorgebrachten Deskriptionen, die als Ausgangspunkt für die Norm gelten, sind in der Regel höchst strittig.
4. Das „Strohmann-Argument“
Beim so genannten „Strohmann-Argument“ stellt man die Gegenposition verzerrt und überzeichnet dar, um den eigenen Standpunkt im besseren Licht erscheinen zu lassen.
B1: „Die Gentechnikgegner sagen, wir sollen nicht in die Natur eingreifen. Dabei können wir ohne Eingriffe in die Natur nicht überleben.“
B2: „Die Befürworter versprechen uns, dass die Gentechnik das Problem des Welthungers löst. Eine Technik der Pflanzenforschung aber wird ein so komplexes Problem wie den Welthunger niemals in den Griff bekommen.“
In beiden Exempeln wird die Position der Gegenseite karikiert, um die eigene Argumentationsweise als die reflektierter und adäquatere darzustellen. Die kritische Rückfrage hat hier zu problematisieren, inwieweit die dargestellte Position tatsächlich jemand in dieser Art vertreten wird bzw. in einem zweiten Schritt, inwieweit es – plakativ gefasst – klug und angemessen ist, sich stets mit den „dümmsten“ Vertretern der Gegenseite auseinanderzusetzen, oder ob es für eine Diskussion – und auch mit Blick auf Schärfung der eigenen Position – nicht eher angemessen ist, sich mit den reflektierten und klugen Kommentatoren der Gegenseite auseinanderzusetzen.
5. Das „Dammbruch-Argument“ oder „Slippery Slope“
Beim so genannten „Dammbruch-Argument“ wird wie folgt argumentiert: Ein (relativ kleiner) erster Schritt wird zu einer Kettenreaktion an ähnlichen Ereignissen führen. Am Ende werden wir uns in einer moralisch nicht-akzeptablen Situation wiederfinden. Im Englischen wird dieses Argument „Slippery Slope“ genannt, also „rutschiger Abhang“. Das Bild soll den Kern der Argumentationsfigur kommunizieren, der besagt: Wenn wir nun diesen einen Schritt auf den Abhang setzen, gibt es kein Halten mehr.
B1: „Wenn wir die Grundlagenforschung zur Gentechnik nicht fördern bzw. unterbinden, ist das nur der erste Schritt. Bald werden alle Forscher das Land verlassen haben.“
B2: „Wenn wir in die Grundlagenforschung von Gentechnik investieren, dann werden die gentechnisch veränderten Pflanzen über kurz oder lang auch auf unseren Feldern wachsen. Das Resultat wird der Tod der kleinstrukturierten Landwirtschaft und die völlige Abhängigkeit von einem einzigen Konzern sein.“
Die Argumentationsfigur des „Slippery Slope“ bezieht seine rhetorische Kraft aus der Illustration einer meist düsteren, dystopischen Zukunft, die mit einer Entscheidung in der Gegenwart in Zusammenhang gebracht wird. Die Fragen lauten hierbei: Führt der erste Schritt tatsächlich notwendigerweise zur skizzierten Endsituation? Welche Regulierungen sind denkbar, um das „Hinunterrutschen“ bzw. das „Brechen des Dammes“ nicht Realität werden zu lassen?
6. Das „Falsche Dilemma“
Bei der Argumentationsfigur des „falschen Dilemmas“ wird suggeriert, es gäbe nur eine limitierte Anzahl an möglichen Handlungsoptionen (oftmals nur zwei).
B1: „Entweder wir setzen alles auf die Gentechnik, oder es werden im Jahr 2050 zig Milliarden Menschen Hunger leiden.“
B2: „Entweder wir sagen der Gentechnik vehement und in allen Bereichen ab, oder einzelne multinationale Konzerne werden unseren gesamten Nahrungsmittelmarkt kontrollieren.“
In beiden Fällen werden nur zwei Möglichkeiten präsentiert; die Entscheidung wird zu einem schlichten „entweder – oder“ pauschalisiert. (Insofern sich die Argumentationsfigur in der Regel auf zukünftige Prozesse richtet, ist sie oftmals mit Dammbruch-Argumentationsweisen angereichert.) Bei derartigen „falschen Dilemmata“ bedarf es stets der kritischen Rückfrage nach weiteren Handlungsoptionen bzw. nach Szenarien, die Graustufen jenseits der bloßen „ja oder nein“-Fragestellung zulassen.
7. Argumentum ad populum
Bei der Argumentationsfigur „ad populum“ wird die eigene Position durch den Hinweis gestärkt, dass eine Mehrheit der Beteiligten diesen Standpunkt teilt.
B1: „Ich verstehe die Aufregung um den Einsatz von Gentechnik in Deutschland nicht. Die Amerikaner haben damit seit Jahren kein Problem.“
B2: „Nur 20 Prozent der Deutschen wollen, dass weiter an Gentechnik geforscht wird. Das sagt doch schon alles über diese Technik.“
Die Tatsache, dass eine Mehrheit einen Standpunkt vertritt, ist selbst noch keine Aussage über die Qualität des Standpunktes. Zugleich gilt: Wenn die Debatte das Fahrwasser politischer Regulierung erreicht, können Mehrheitsverhältnisse entscheidend werden. (So nimmt die gegenwärtige Kennzeichnungspflicht beispielsweise darauf Rücksicht, dass ein Großteil der Bevölkerung die Wahlmöglichkeit zwischen Produkten mit und ohne Gentechnik möchte.)
8. Anekdote statt Argument
Eine beliebte rhetorische Figur ist der Rückgriff auf Erzählungen von Anekdoten und Beschreibungen von Einzelfällen.
B1: „Ich habe auf meinen Reisen nigerianische Bauern getroffen, die durch den Einsatz von gentechnisch verändertem Saatgut ihre Ernteerträge beträchtlich steigern konnten. Dadurch konnten sie ihren Kindern eine gute Schulbildung ermöglichen.“
B2: „Ich habe auf meinen Reisen brasilianische Bauern getroffen, bei denen gentechnisch verändertes Saatgut zu einem erhöhten Einsatz von Spritzmitteln geführt hat. Die Bauern sind daraufhin erkrankt, ihre Familien verarmt.“
Derartige Anekdoten führen zu der Fragestellung, die bereits Aristoteles beschäftigte, nämlich: Inwieweit darf man in Debatten die Emotionen des Publikums ansprechen? Die Antwort des antiken Philosophen Aristoteles scheint auch heute noch tauglich: Emotionen anzusprechen ist ein erlaubtes Mittel, jedoch dürfen derartige Einzelfallbeschreibungen nicht mit Argumenten verwechselt werden. Sprich: Die Diskussion darf sich nicht in einem Austausch solcher Anekdoten erschöpfen, allenfalls können Anekdoten empirisch belastbares Material von durchgeführten Studien veranschaulichen.
9. „Galileo-Gambit“
Die Argumentationsfigur „Galileo-Gambit“ mag auf den ersten Blick amüsant klingen, sie taucht – in weniger zugespitzter Form – jedoch durchaus häufig in Debatten auf. Die Figur geht zurück auf den italienischen Mathematiker und Physiker Galileo Galilei (1564–1642), der für seine bahnbrechenden Erkenntnisse in der Astronomie von der Kirche angefeindet wurde. Die Figur weist folgendes Muster auf: Person A stellt eine Behauptung auf, zu der die wissenschaftlichen Belege fehlen bzw. zu der die derzeitigen Daten sogar in eklatantem Widerspruch stehen. Entsprechend wird die Behauptung von Person B widerlegt. Daraufhin kontert Person A:
B: „Über Galileo Galilei haben sie früher auch gelacht.“
Der wissenschaftliche Nachweis wird demnach in die Zukunft verschoben. Man inszeniert den eigenen Standpunkt als den Standpunkt eines Missverstandenen, der seiner Zeit voraus ist. Die Ideengeschichte mag einem dabei – wie im Falle von Galileo Galilei, der jedoch empirisch belastbare Daten auf seiner Seite hatte – sogar langfristig Recht geben; die Argumentationsfigur ist jedoch keine adäquate.
Der hier veröffentlichte Text entstammt der ethischen Begleitforschung im Rahmen des Bayerischen Forschungsverbundes ForPlanta. Inhaltlich verantwortlich ist Christian Dürnberger, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule für Philosophie und am Institut TTN.
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Letzte Aktualisierung: 03.08.2017