Genome Editing und Ethik. Ein Literaturbericht (Teil 2)

Es sind vor allem drei Themenfelder, die in den jüngsten ethischen Stellungnahmen zu den neuen Pflanzenzüchtungstechnologien diskutiert werden: (1) Wie verhalten sich Vorsorge, Risikobewertung und das Verständnis von Innovation zueinander? (3) In welchem Verhältnis stehen die Grundrechte der Wahlfreiheit des Verbrauchers und die Berufsfreiheit der Pflanzenzüchter:innen und Landwirt:innen? (3) Sind „Natur“ und „Natürlichkeit“ geeignete Bewertungskriterien? Dabei ist erkennbar, dass die Ausrichtungen auf das Thema der Nachhaltigkeit den bisherigen vor allem technikfokussierten Zugang verändert.

(1) Vorsorge, Risikobewertung und Innovation

Der Umgang mit möglichen Risiken bei der Anwendung von Genome Editing und eine angemessene Vorsorge sind inhaltliche Gemeinsamkeiten aller Gutachten. So ist das Vorsorgeprinzip ein zentrales Kriterium in der Risikobewertung von Genome Editing, das in der EU-Freisetzungsrichtlinie zur Anwendung kommt. Ungeklärt ist aber sein Verhältnis zur Ermöglichung von Innovation. So schreibt die EGE: „Whilst there are strong proponents of the use of precaution in order to protect the environment, others argue that the con-cept has been used as a vehicle to stop progress“ (EGE 2021, 61). In der Anwendung des Vorsorgeprinzips eröffne sich demnach eine Opposition von Umweltschutz auf der einen und technischem Fortschritt auf der anderen Seite, die der Vermittlung bedürfe – gerade im Anschluss an das EuGH Urteil von 2018. Diese Vermittlung intendiert die EGE durch eine deutliche Fokussierung auf Fragen der Biodiversität und sozio-ökonomischer Aspekte, die – über die risikobezogenen Aspekte hinaus – stärker zu berücksichtigen sind.

Im Hinblick auf die Sicherheitsbewertung von Genome-Editing-Verfahren plädiert die EGE für ein Verfahren, das das Maß bzw. die Art der Veränderung des Genoms zum entscheidenden Kriterium für die Zulassung erklärt. Für gezielte Veränderungen an einer Stelle des Genoms – „Punktmutationen“ –, die so auch in technisch unveränderten Organismen in der ‚Natur‘ vorkommen könnten, sei nach der EGE daher ein „light-handed“ Ansatz ausreichend. Bei allen anderen umfassenderen Veränderungen brauche es aber weiterhin eine detaillierte und überlegte Risikobewertung (vgl. EGE 2021, 62–63). Allerdings eröffnet die EGE mit der Kategorie der ‚Natur‘ hier ein neues ethisches Diskussionsfeld (vgl. s.u.).

Eine andere Position vertreten eine Mehrheit der EKAH-Mitglieder in ihrem Bericht von 2016. Sie lehnen die Kritik ab, „dass das Vorsorgeprinzip grundsätzlich Technologien und Innovation behindere“ (EKAH 2016, 22) und weisen damit den Vorwurf zurück, die Anwendung des Vorsorgeprinzips sei allein politisch motiviert. In dem Bericht „Vorsorge im Umweltbereich“ vom Mai 2018 hat sich die EKAH noch einmal tiefergehend mit philosophischen Begründungen des Vorsorgeprinzips befasst und in diesem Zusammenhang die Frage einer „Vorsorgepflicht“ aufgeworfen. Diese sei abhängig vom Verständnis ethischer Risikotheorie gegeben. Eine Situation, in der der Gedanke der Vorsorge zum Tragen kommt, sei erstens durch die Möglichkeit schwerwiegender Schäden und zweitens dadurch, dass deren „Eintrittswahrscheinlichkeit epistemisch ungewiss“ sei, gekennzeichnet (EKAH 2018, 20). In Bezug auf eine Anwendung des Vorsorgeprinzips rückt dann das Beweislastverfahren ins Zentrum. Die EKAH ist hier der Ansicht, dass die Beweislast bei denjenigen liegt, die für die Einführung einer neuen Technologie plädieren, bei der die Möglichkeit eines schweren Schadens nicht sicher ausgeschlossen werden kann.

Mit Blick auf die Risikobewertung und ihre gesellschaftliche Einbettung vertritt die EGE eine anders gelagerte Position. Anders als die EKAH kritisiert sie grundlegend die Dominanz eines „safe-enough-framing“ in den Debatten um Genome Editing. Anstelle einseitig die Risiken hervorzuheben und damit immer wieder die kontextabhängige Frage zu stellen, wann Genome Editing-Verfahren als „sicher genug“ bewertet werden können, fordert die EGE auch andere Faktoren zu berücksichtigen. Hierzu zählen der potentielle Nutzen von Genome Editing für die Herausforderungen angesichts des Klimawandels, politische Machtfragen und institutionelle Dimensionen (vgl. EGE 2021, 14–19).

In ähnlicher Stoßrichtung fordern Tanner und Walch-Solimena eine Erweiterung des Vorsorgeprinzips um eine Risikoabschätzung. Man müsse auch ethisch in den Blick nehmen, was es bedeutet, wenn eine neue Technik nicht zum Einsatz kommt. Denn die „Verantwortung für Risiken muss in ein Verhältnis gebracht werden zur Verantwortung für Innovation“ (Tanner/Walch-Solimena 2019, 30).

Noch einen Schritt weiter gehen Dabrock und Braun, wenn sie sogar von einem „Innovationsprinzip“ sprechen. Obwohl ein solches nicht einfach auf derselben Stufe stehen könne wie das enger an verfassungs- und völkerrechtliche Standards orientierte Vorsorgeprinzip, sollten Vorsorge und Innovation nicht länger als Opponenten gesehen werden (vgl. Dabrock/Braun 2018, 42).

Bei der Frage, wie das Vorsorgeprinzip zum Tragen kommen soll, spielt die Unterscheidung zwischen einer prozess- oder produktbezogenen Bewertung von Genome Editing eine zentrale Rolle. In seinem Urteil von 2018 hatte der EuGH sich im Falle von Veränderungen des genetischen Materials, die so auf natürliche Weise durch Kreuzen und / oder natürliche Rekombination nicht möglich sind, für einen prozessorientierten Ansatz nach der EU-Freisetzungsrichtlinie ausgesprochen und diesen auch für die neuen Pflanzenzüchtungstechnologien festgehalten. Doch sind Punktmutationen durch den Einsatz von Genome Editing-Verfahren dafür die richtige Adresse? Und wie kann ausreichend sichergestellt werden, dass im Falle von Mutationen, die so auch auf natürliche Weise möglich sind, die Transparenz des Verfahrens für den Anwender und Nutzer gegeben ist?

Noch vor dem Urteil plädierten Dabrock und Braun für eine Bewertung von Genome Editing, die produktbasierte und prozessbasierte Ansätze koppelt, wobei eine Bedingung die Transparenz von Verfahren sei (vgl. Dabrock/Braun 2018, 3). Auch die EKAH ist dieser Ansicht und merkt darüber hinaus an, dass ein verantwortlicher Umgang mit unvollständigem Wissen bei der Risikobewertung wichtig ist (EKAH 2016, 18). Als entscheidende Variablen in der Risikobewertung von neuen Pflanzen nennt die EKAH hier das Schadensausmaß und die Eintrittswahrscheinlichkeit. Die besondere Herausforderung bei der ethischen Bewertung von Pflanzen aus den neuen Züchtungsverfahren liege darin, dass man nur wenig über die oben genannten Variablen weiß. Zwar benennt die EKAH dieses Problem, formuliert aber keine konkreten Möglichkeiten des Umgangs damit.

In dem Abschnitt „Genom-Editierung bei Pflanzen“ des Gutachtens der Max-Planck-Gesellschaft fordert Detlef Weigel von einer wissenschaftsfundierten Bewertung der Verfahren, die auf Genom-Editierung beruhen, lediglich eine „vollständige Transparenz, und dass die Zulassung von genom-editierten Varianten die Offenlegung der vorgenommenen genetischen Veränderungen voraussetzt, einschließlich der Gründe für diese Änderungen und der Methoden, wie das Hintergrundwissen erlangt wurde“ (Weigel 2019, 8). Damit umgeht Weigel die Diskussion um einen produkt- oder prozessbezogenen Ansatz und verweist auf eine übergeordnete formale Bewertungskategorie der „Transparenz“, wie es auch Dabrock und Braun vorschlagen.

Darüber hinaus fordern diese – möglicherweise als Ausweg aus dem Dilemma zwischen prozess- und produktbezogener Bewertung – eine Ausweitung der Bewertungsmechanismen um eine soziale, ökologische und ökonomische Dimension. Hervorzuheben ist hierbei, dass eine Abwägung in zwei Richtungen offen sein muss. Nicht nur gilt es, die möglichen Regulierungen zu analysieren, auch müssten die Folgen einer pauschalen Ablehnung von Genome Editing reflektiert werden (vgl. Dabrock/Braun 2018, 26).

(2) Zum Verhältnis von Wahlfreiheit und Berufsfreiheit

Die EKAH sieht in der politischen Debatte um Genome Editing einen Konflikt von „moralischer Bedeutung“ (EKAH 2016, 24), da Pflanzen, wenn sie der Ernährung dienen, Identitäts- und Lebensstilfragen berühren. Ethisch geht es hierbei um die Wahlfreiheit von Verbraucher:innen. Ebenfalls eine Frage der Selbstbestimmung ist die Berufsfreiheit (Art 12 Abs 1 GG) von Produzent:innen von Saatgut, aber auch Landwirten, die sich auf das Koexistenzgebot stützen, wie es z.B. die Zweckbestimmung des deutschen Gentechnikrechts in § 1 Abs 2 GenTG vorsieht.

Zum Ausdruck des individuellen Selbstverständnisses bzw. der freien Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen – so die EKAH – gehört das Thema Ernährung. Ein Ausdruck der Selbstbestimmung von Personen „in Bezug auf die für sie relevanten Lebensbereiche ist die Wahlfreiheit. Unter Wahlfreiheit versteht man das Recht, zwischen mehreren Optionen wählen zu können. Dieses Recht kann – je nachdem, worauf es sich bezieht – als ein Anspruchsrecht oder ein Abwehrrecht begriffen werden.“ (EKAH 2016, 24). Anspruchsrecht, wenn es um die Sicherstellung der Versorgung mit Lebensmitteln geht und Abwehrrecht dahingehend, dass es eine Möglichkeit geben muss, auf andere Produkte auszuweichen. Die Frage, die sich im Anschluss daran stellt, ist, ob Bürger:innen ein Abwehrrecht auf Pflanzen haben, die mit Genome Editing hergestellt worden sind. Fraglich ist auch, inwiefern die Kennzeichnung von Produkten eine Kompromisslösung darstellt. Grundlegend für die Wahlfreiheit der Konsument:innen ist es nach der EKAH mit Blick auf die moralische Dimension tatsächlich eine Wahl zwischen Lebensmitteln, die mit bzw. ohne Genome Editing hergestellt worden sind (vgl. EKAH 2016, 24). Dem Abwehrrecht der Bürger:innen folgend, bräuchte es eine Kennzeichnung von Lebensmitteln, die über das Herstellungsverfahren der enthaltenen Produkte informiert, wobei die „Ermöglichung von Wahlfreiheit“ der Verbraucher:innen das Ziel ist (Dabrock/Braun 2018, 3). Dabei ist völlig unklar, inwiefern dem moralischen „Recht“ auch eine Pflicht des Gesetzgebers korrespondiert, bei dessen Berücksichtigung gesetzgeberisch tätig zu werden.

Die EGE macht allerdings darauf aufmerksam, dass vielleicht nicht jeder Einsatz von Genome Editing-Verfahren einer Kennzeichnung bedürfe (Vgl. EGE 2021, 71–72). Gegenwärtig sei es darüber hinaus schwer möglich, den Einsatz von Genome Editing im Endprodukt nachzuweisen und zu regulieren. „It is likely that modifications introduced through conventional breeding techniques (even those preceding 2001), occuring naturally or through genome editing may not be able to be distinguished from one another“ (EGE 2021, 71–72).

Der Frage nach der Wahlfreiheit von Verbraucher:innen können die Anliegen derjenigen gegenüberstehen, die GVOs produzieren bzw. mit ihnen handeln. Zu ihrer Berufsfreiheit gehört es, weitestgehend selbst über Züchtung, Anbau und Vermarktung ihrer Produkte zu bestimmen. Dabei kommt es auch innerhalb der landwirtschaftlichen Berufsgruppe zu Konflikten zwischen den Befürworter:innen und Gegner:innen von Genome Editing. In Bezug auf die Verwendung von Genome Editing in der Pflanzenzüchtung, stellt sich die Frage, ob durch den Einsatz Güter wie Versorgungssicherheit, Agrobiodiversität und eine Nahrungsmitteldiversität gewährleistet werden können (vgl. EKAH 2016, 25–26).

Letztendlich hat die Politik in der EU nun die Aufgabe, in diesem Konflikt, in dem sich unterschiedliche Freiheiten gegenüberstehen, zu vermitteln und konsensorientierte Lösungen zu finden. Das Gutachten der EGE, deren Hauptadressatin die EU-Kommission ist, pocht auf ein weltweit einheitliches Verfahren zur Kennzeichnung von Produkten, bei denen bestimmte Typen von Genome Editing zum Einsatz kommen. „[But] [t]he EGE rec-ommends that traceability and labelling should only be required where the modification could not have occured naturally through mutation or natural recombination with sexually compatible plants.“ (EGE 2021, 92). Über die Kennzeichnung und dadurch gewährleistete Transparenz in der Herstellung von Lebensmitteln versucht die EGE die Bedenken von europäischen Konsument:innen aufzunehmen, um darauf aufbauend für Variationen in der Gesetzgebung zu plädieren (vgl. EGE 2021, 72).

(3) ‚Natur‘ und ‚Natürlichkeit‘ als Bewertungskategorien

Die Rede von ‚Natur‘ und ‚Natürlichkeit‘ umfasst mehr als nur deskriptive, vermeintlich neutrale Beschreibungen. In der Debatte um die Bewertung von Genome Editing ist nach der EKAH die Gegenüberstellung ‚natürlich‘ und ‚künstlich‘ vorherrschend. Ihr Anliegen ist es, das Entstehen dieser Kategorienbildungen zu hinterfragen:

„Aus ethischer Sicht ist […] zu prüfen, wie diese Kategorien gebildet und womit die dazu herangezogenen Kriterien begründet werden. Dabei ist auch zu klären, welchen gegebenenfalls weiteren Zwecken und Interessen sie dienen und vor allem dienen sollen. Solche Zwecke und Interessen sind nicht wertfrei und müssen für die Entscheidungsprozesse transparent diskutiert und gerechtfertigt werden.“ (EKAH 2016, 4–5).

Die EKAH selbst will der Natürlichkeit als Bewertungskategorie nicht allzu viel Raum einräumen, da eine Unterscheidung von ‚natürlich‘ und ‚künstlich‘ ein Irrweg sei. Es könnte angenommen werden, dass je „technischer sich ein Eingriff in natürliche Zusammenhänge präsentiert, als desto künstlicher wird das Ergebnis des Eingriffs wahrgenommen“ (EKAH 2016, 12). Oder aber Pflanzen aus konventionellen Verfahren gelten als ‚natürlich‘ und Pflanzen, die mit neuen Züchtungstechnologien hergestellt werden, gelten als ‚künstlich‘. Dies könne dann auch wiederum eng mit der Risikobeurteilung zusammenhängen. Pauschal könnten ‚künstliche‘ Eingriffe riskanter als ‚natürliche‘ Prozesse betrachtet werden oder aber andersherum. Problematisch ist allerdings, dass die EKAH, obwohl sie die Schwierigkeiten der Verwendung der Kategorisierung von ‚natürlich‘ und ‚künstlich‘ benennt, selbst dieser Terminologie verhaftet bleibt. Sie meint, dass „je weiter ein Verfahren von natürlichen Abläufen entfernt ist – desto weniger auf Erfahrungswissen über die Wirkungen der NPZV [Neuen Pflanzenzüchtungsverfahren] und der neuen Pflanzen“ zurückgegriffen werden kann (EKAH 2016, 13). Es stellt sich die Frage, ob die Fortschreibung der Kategorien ‚natürlich‘ und ‚künstlich‘ als Anzeige für bewährtes Erfahrungswissen nicht ein erneuter Irrweg ist. Eher könnte man daran denken, die bewährte Praxis im Umgang mit Techniken der Pflanzenzüchtung als „Erfahrungswissen“ einzustufen.

Auch Dabrock und Braun hinterfragen die Vorstellung von Natur und Natürlichkeit in Debatten um Genome Editing und warnen vor einem „romantisierenden Fehlschluss“, der alle technischen Vorgänge negiere (Dabrock/Braun 2018, 27). „Technologie und Natur stehen weder in einem einfachen Ausschluss- noch Einschlussverhältnis“ (Dabrock/Braun 2018, 28). Im Fokus ihres konkreten ethischen Ansatzes sollen die jeweiligen Effekte und die normativen Gehalte derjenigen Begründungen hinterfragt werden, die Natürlichkeit zum Kriterium erheben. Denn bei Natürlichkeit handelt es sich nicht um einen absolut gesetzten Maßstab. Vielmehr konstituiere sich dieser je und je in diskursiven Aushandlungsprozessen neu. Daher kann daran weder die Eingriffstiefe bewertet, noch ein modifizierter Organismus als unnatürlich bezeichnet werden, nur weil er durch einen technologischen Eingriff entstanden ist.

Die EGE löst sich in ihrem Bericht von einer reinen Technikdebatte, indem sie weitergefasst drei philosophische Dimensionen beschreibt, die das Verhältnis von Mensch und Natur beschreiben. Hierzu gehört erstens das Verständnis von Natur als ‚das Normale‘, abgeleitet aus dem Naturrecht. Zweitens die Verbindung und Spannung des Natürlichen in der romantisierenden Rede von der ‚Mutter Natur‘ und drittens Natur, verstanden als das ‚Menschen-Gemachte‘. Insgesamt bewege sich das Verhältnis von Mensch und Natur zwischen einem instrumentellen Zugriff auf Natur und der Annahme eines intrinsischen Wertes. Als eine vermittelnde Position fordert die EGE eine „Balance of Nature“ (EGE 2021, 20) und ein verantwortungsvolles „transforming nature“ (EGE 2021, 16).

Das gemeinsame Ziel: Eine nachhaltige Landwirtschaft

Spätestens seit der UN-Klimakonferenz von Paris 2015 haben Fragen der Nachhaltigkeit auch im Bereich der Landwirtschaft an Bedeutung gewonnen. Sowohl Dabrock und Braun als auch die EGE nehmen auf das sozioökonomische Konzept der Nachhaltigkeit Bezug, wobei sie die Vision einer nachhaltigen Landwirtschaft teilen.

Dabrock und Braun nennen in ihrem Gutachten die „17 Sustainable Development Goals“ der UN von 2015 und die „2030 Agenda for Sustainable Development“ der EU als wichtige Meilensteine in der Umwelt- und Klimapolitik. In ihren Augen liegt dem Konzept Nachhaltigkeit eine normative Dimension zu Grunde. Es verbinde ökologische Themen mit Fragen sozialer und ökonomischer Teilhabe. Mit Blick auf die Landwirtschaft bestehe gegenwärtig die Herausforderung darin, nachhaltige Lösungsansätze für die Belastung von Ökosystemen zu finden. Dabrock und Braun betonen, dass eine Technik allein keine Veränderung bringt. Genome Editing biete aber gleichwohl das Potential, den Einsatz von Chemikalien oder radioaktiver Strahlung bei der Pflanzenzüchtung zu reduzieren (vgl. Dabrock/Braun 2018, 29–30). Aber die Fragen nach neuen Techniken und einer nachhaltigen Landwirtschaft haben nach Dabrock und Braun auch eine gesellschaftspolitische Dimension. Ein Land sei nur dann nachhaltig, „wenn eine innovativ agierende Wirtschaft entsprechende Wohlfahrt produziert“ (Dabrock/Braun 2018, 42). Sie gehen so weit, einen neuen Gesellschaftsvertrag für eine nachhaltige Landwirtschaft zu fordern (vgl. Da-brock/Braun 2018, 47).

Auch die EGE misst dem Konzept Nachhaltigkeit und der Bedeutung einer nachhaltigen Landwirtschaft in ihrem Gutachten große Bedeutung zu. Sie sieht darin die Möglichkeit die gegenwärtig festgefahrene Debatte um die Bewertung von Genome Editing auszuweiten. Denn schon 2008 hatte die EGE vorgeschlagen, ein am Einfluss auf die Umwelt orientiertes Bewertungsverfahren anzuwenden, das Risiken und Nutzen gleichermaßen bewertet. Berücksichtigt werden müsse auch das Nicht-Zulassen von Pflanzen, die mit Genome Editing gezüchtet wurden, bei anhaltender, ineffizienter und nicht-nachhaltiger Landwirtschaft (vgl. EGE 2021, 69). „Whichever argument is considered, the need for a holistic view of the use of land, water and the environment is recognised“ (EGE 2021, 65). Auch in der Politik scheint auf EU-Ebene eine Ausweitung der Debatte gewünscht, denn neue Technologien wie Genome Editing werden auch im Zusammenhang der ambitionierten Farm-to-Fork-Strategie der EU zumindest am Rande erwähnt.

Fazit

Zum Schluss der Analyse der ethischen Gutachten lassen sich zwei Erträge formulieren, an die sich weiterführende Fragen anschließen dürften.

(1) Die Debatte um die Bewertung von Genome Editing ist thematisch so vielfältig, wie die an ihr beteiligten Akteure. Die hier einbezogenen ethischen Gutachten verschränken naturwissenschaftliche mit sozial- bzw. geisteswissenschaftlichen Zugängen. Dass Interdisziplinarität in dieser normativ aufgeladenen Debatte nicht einfach konsensbegründend ist, sondern eben auch unterschiedliche Perspektiven offenhält, zeigt nicht zuletzt das Diskussionspapier der Max-Planck-Gesellschaft. Angesichts der Unterschiedlichkeit der wissenschaftlichen Zugänge verzichtet diese auf eine gemeinsame Begutachtung des Themas. Vielmehr werden die unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven beim Thema dadurch erkennbar, dass die einzelnen Abschnitte von einzelnen Autor:innen ver-fasst und von diesen verantwortet werden.

(2) Inhaltlich lässt sich durchaus eine Entwicklung der erörterten Themen in den jeweiligen ethischen Gutachten erkennen. Die Älteren – z.B. die Berichte der EKAH – haben einen technikethischen Fokus und stellen die Herausforderungen von Vorsorge und Risikobewertung ins Zentrum. Dagegen findet sich bei Dabrock und Braun und in dem Gutachten der EGE eine Erweiterung einer technikethischen Analyse um umwelt- und sozial-ethische Fragestellungen, wenn sie das Konzept der Nachhaltigkeit diskutieren und Visionen einer nachhaltigen Landwirtschaft entwerfen. Sie machen damit deutlich, dass eine Technik wie Genome Editing nicht unmittelbar gegenwärtige Probleme lösen kann. Statt-dessen verorten sie die ethische Beurteilung von Genome Editing in sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenhängen und machen sie auf diesem Wege abwägungsfähig (vgl. EGE 2021, 9).

Die Analyse hat gezeigt, welche Themen rund um Genome Editing auf ethischer Ebene diskutiert werden, wobei weiterhin Fragen offenbleiben: Kann Genome Editing einen Beitrag zu einer nachhaltigen Landwirtschaft leisten? Wie können Güter wie Ernährungssicherheit und Biodiversität, die neuerdings für die Bewertung von Genome Editing als relevant erachtet werden, gegeneinander abgewogen werden? Und wie lässt sich das Verhältnis von Vorsorge und Innovation neu bestimmen – nicht nur rechtlich, sondern auch politisch?

Nora Meyer / Stephan Schleissing

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